Pflegestelle Wilde Igel e.V.
by Monica Hill

Refeeding Syndrom, was ist zu beachten?

Das Refeeding-Syndrom ist oft der Grund für plötzliche Todesfälle bei unterernährten Tieren, auch wenn diese kurz zuvor noch gierig und munter die angebotene Nahrung verschlungen haben. Im Folgenden wird erläutert, wie es dazu kommt und wie man vorgehen sollte, um das Refeeding-Syndrom zu vermeiden.
Sieht man ein abgemagertes, ausgezehrtes Tier, ist der erste Impuls der meisten Menschen, es sofort zu füttern. Das arme Wesen soll die ihm so lange verwehrte Nahrung bekommen, endlich satt sein, nicht mehr hungern, sich wohl fühlen. Doch eben dieser Impuls kostet solchen Tieren schnell das Leben, denn der Körper befindet sich im Hungerstoffwechsel und ist nicht in der Lage mit dem plötzlichen (Über)Angebot an den zuvor fehlenden Nährstoffen fertig zu werden – mit oft tödlichen Folgen.
Das sogenannte Refeeding-Syndrom tritt bei unterernährten Tieren (Säugetiere, Vögel, andere ggf. auch, da können wir aber keine qualifizierte Aussage zu machen) in der Anfangsphase des Gesundpflegens ein, meist innerhalb der ersten 2 - 7 Tage, wenn dies nicht mit äußerster Vorsicht, Sorgfalt und Sachkunde stattfindet.
Aber Achtung: nicht nur offensichtlich abgemagerte, mangelernährte Tiere können dem Refeeding-Syndrom zum Opfer fallen, auch kurze, noch nicht sichtbare Hungerphasen können ausreichen, um Symptome hervorzurufen!
Direkt am Tier sichtbare Symptome des Hungerstoffwechsels sind z.B. Abmagerung, Lethargie/Schwäche, Anämie (u.a. blasse Schleimhäute), Übelkeit/Erbrechen, Durchfall, Ruhelosigkeit und Krampfanfälle bis hin zum Koma.
Was passiert beim Refeeding-Syndrom?
Fehlen Nährstoffe, so verändert sich auch der Stoffwechsel. Der Körper versucht die lebensnotwendigen Funktionen aufrecht zu erhalten, spart Energie, wo er kann, und muss sich die fehlende Energie aus den körpereigenen Reserven holen. In den Zellen gespeichertes Glykogen, Muskeln und Fettgewebe werden abgebaut, die Insulinproduktion wird heruntergefahren, der Blutzuckerspiegel sinkt, sogar der Herzmuskel wird letztlich kleiner.
Außerdem verändert sich der Elektrolythaushalt, besonders Phosphor (!), Kalium und Magnesium sind in diesem Kontext relevant. Mit der gesamten Körpermasse verringert sich auch deren Konzentration im Körper, wobei die Laborwerte zunächst normal erscheinen können, da der Mangel erst während des Anfütterns zu Tage tritt. Im Hungerstoffwechsel wird der Mangel nämlich durch Verschiebung der Elektrolyte aus den Zellen, wo sie zu dem Zeitpunkt nicht überlebensnotwendig sind, ins Blutserum kompensiert.
Die Gabe von Glucose (bzw. Kohlenhydraten) bewirkt eine erhöhte Insulinausschüttung, weil der Körper wieder auf Kohlenhydrate als Energiequelle umsteigt, wodurch wiederum Verschiebungen von Elektrolyten, wie Phosphor, vom Blut in die Zellen zurück verursacht werden, da diese Stoffe dort nun wieder für Vorgänge, wie die Produktion von ATP (Adenosintriphosphat: unentbehrlicher Energieträger und Regulator energieliefernder Prozesse) und den Aufbau von Proteinen, benötigt werden.
Diese Verschiebung hat zur Folge, dass Phosphor-, Kalium- und Magnesiummangel nun zu Tage treten - mit schwerwiegenden Folgen. Krampfanfälle, Lähmungserscheinungen, Herzschwäche, Zerstörung roter Blutkörperchen, geschwächtes Immunsystem, Ateminsuffizienz und vieles mehr.
Zudem kann das (noch) durch die Hungerperiode verkleinerte Herz das durch neue Kalorien entstandene, wieder erhöhte Blutvolumen unter Umständen nur schwer bewältigen, Herzversagen droht.
Zusätzlich zum gestörten Elektrolythaushalt kann auch ein Flüssigkeitsüberschuss zum Problem werden. Durch die im Hungerstoffwechsel verminderte Herz- und Nierenfunktion und zu schnelle Gabe von Kohlenhydraten kommt es zu einer rapiden Verminderung der Ausscheidung von Wasser und Natrium durch die Nieren, was bei einer zu hohen Zufuhr von Flüssigkeit zur Bildung von Ödemen (Wassereinlagerungen z.B. in Lunge und übrigem Gewebe) führt. Dies kann das geschwächte Herz-Kreislaufsystem überlasten und zu dessen Versagen führen.
Dies ist nur ein kurzer Abriss der komplexen physiologischen Vorgänge während des Refeeding-Syndroms. Die meisten unserer „Refeeding-Kandidaten“, zum Beispiel Steinmarder und Eichhörnchen, kommen zusätzlich zur Unterernährung auch mehr oder weniger stark dehydriert an, was ebenfalls einen gestörten Elektrolythaushalt zur Folge hat.
Das heißt in der Praxis:
Die ersten Tage entscheiden über Leben und Tod. Zu oft wähnt sich der Laie in trügerischer Sicherheit und freut sich, dass der kleine Schützling so gierig frisst und trinkt, nur um ihn nach ein paar Tagen dann plötzlich doch „unerklärlicherweise“ sterbend oder tot vorzufinden.
Bevor überhaupt mit richtiger Nahrung angefangen werden kann, muss auch der normale Wasser-/Elektrolythaushalt des Körpers wiederhergestellt werden. Die meisten solcher Tiere sind bei ihrer Ankunft nämlich mehr oder weniger stark dehydriert und in diesem Zustand nicht in der Lage Nahrung zu verstoffwechseln. Je nach Grad der Austrocknung kann es notwendig sein, das Tier intravenös durch einen Tierarzt oder wenigstens subkutan (bei winzigen Tieren oft die einzig durchführbare Variante) mit einer Elektrolytlösung zu versorgen. Die orale Gabe ist nur bei leichter Dehydration ausreichend, zu schwache Tiere sind zudem oft nicht in der Lage richtig zu schlucken.
Das betroffene Tier muss sehr langsam, mit stark reduziertem Kaloriengehalt und angepasstem Gehalt an Phosphor, Magnesium und Kalium angefüttert werden. Die Nahrung sollte wenig Kohlenhydrate und viel Fett enthalten und über einen Zeitraum von 10 Tagen langsam bis zur normalen Kalorienmenge erhöht werden. Eine zu rasche Erhöhung führt leicht zum Tod.
Außerdem sollte in der ersten Woche, also der akuten Refeeding-Phase, Thiamin (Vitamin B1) supplementiert werden, um die Folgen eines Mangels zu verhindern. Dazu gehören kongestive Herzinsuffizienz und Wernicke-Enzephalopathie (u.a. Bewusstseinsstörungen, Desorientierung, Beeinträchtigung von kognitiven und motorischen Fähigkeiten, Koma).
Absolute Hygiene ist unerlässlich, da das Immunsystem bei mangel-/unterernährten Tieren geschwächt ist und sie auch den „harmlosesten“ Krankheitserregern kaum etwas entgegenzusetzen haben.
Zur Verdeutlichung der Relevanz von Elektrolyten hier noch einige Folgen von Phosphor-, Kalium- und Magnesiummangel:
Phosphormangel (Hypophosphatämie): Sauerstoffabgabe vom Blut an das Gewebe erschwert, Zerstörung roter Blutkörperchen, verminderte Funktion der Leukozyten und somit des Immunsystems, Herzschwäche (verminderte ATP-Produktion), Muskelschwäche, Ateminsuffizienz, Rhabdomyolyse (Zerfall der Skelett- und Herzmuskulatur), Veränderung des Säure-Basen-Haushaltes, gestörter Glukosestoffwechsel, Krampfanfälle etc.
Kaliummangel (Hypokaliämie): Lähmungserscheinungen, Herzrhythmusstörungen, Adynamie (Erschöpfung, Antriebslosigkeit) bis hin zu Paresen (Lähmungserscheinungen), Obstipation bis hin zum Ileus (Darmverschluss), Reflexe nehmen ab, Rhabdomyolyse etc.
Magnesiummangel (Hypomagnesiämie): Muskelkrämpfe und -zucken, Adynamie, Depression, gestörte Herzfunktion etc.
Achtung: Zu viel des Guten kann schaden, das gilt auch für Phosphor, Kalium und Co. Die Pflege und Behandlung von Refeeding-Patienten sollte nur von erfahrenen Personen durchgeführt werden und auch diese können leider nicht jeden zurück ins Leben holen.

Deshalb jeden Igel möglichst immer erst einer Pflegestation zeigen. Ob dann selber in Zusammenarbeit mit der Pflegestation gepäppelt werden kann, sollte von der Pflegestelle entschieden werden. 

 
 
 
 
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